Der 2. Ökumenische Kirchentag vom 12. bis 16. Mai 2010 in München hat nicht nur eine große Anzahl von Menschen angezogen - ca. 130.000 Dauerteilnehmer wurden gezählt, dazu noch bis zu 11.000 jeweilige Tagesteilnehmer - er hat auch sehr viele positive Spuren in der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit hinterlassen. Die meisten Berichterstatter zogen ein positives Fazit. Es hat sich gezeigt, dass der bisher beschrittene Weg der Ökumene weder eine Einbahnstraße noch eine „Eintagsfliege" ist, auch kein kurzfristiger „Event", sondern eine tatsächliche Erfolgsgeschichte. Gerade die Öffnung hin zur multilateralen Ökumene zeigte sich durch die Beteiligung orthodoxer und freikirchlicher Mitveranstalter und Besucher. Es zeigte sich aber auch: Ökumene braucht Zeit, sie braucht einen langen Atem, zugleich fachliche Kenntnis und einen gute Umgangsstil, um sich als nachhaltig zu erweisen.
Eine solche Sicht der Ökumene will die vorliegende Seite empfehlen, indem sie beschreibt, was Ökumene ist und sein will, indem sie aber auch einige unverzichtbare Grundregeln empfiehlt, eine Art „kleiner ökumenischer Knigge".
1. Was ist eigentlich Ökumene?
„Ökumene" - ein Wort, das für uns alle sicher und geläufig erscheint. Wir sprechen von ökumenischen Gottesdiensten, wir wissen um Feste und Veranstaltungen, die gemeinsam organisiert werden. Konfessionsverbindende Brautpaare wünschen sich eine „ökumenische Trauung". Wir haben - mehr als frühere Generationen - Zugang zu ökumenischen Gesprächspartnern. Man könnte meinen, Ökumene sei etwas Alltägliches geworden - dennoch: es gibt ganz unterschiedliche Kontexte zu diesem Begriff.
Deshalb vorab eine Begriffsklärung
„Ökumene" (griech.: oikuméne) meinte zum „bewohnten Erdkreis" zu gehören, das hieß: zum Römischen Reich. Später wurde es umgedeutet. Man gehörte zur Kirche als Ganzer - insofern: ein anderer Begriff für „katholisch" (griech.: kat'holon), das Ganze betreffend. Ökumene ist dann der christliche Bereich, der die ganze Welt umspannt. Matthäus überliefert: „Dieses Evangelium vom Reich wird auf der ganzen Welt verkündet werden, damit alle Völker es hören." (en holé te oikuméne; Mt 24,14).
Auch Jesu Taufauftrag in Mt 28 meint die ganze Ökumene oder kat'holon : „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,18-20).
Heute versteht man unter Ökumene die Beziehungen zwischen mehreren Kirchen bzw. Christen verschiedener Konfessionen, und das lokal, regional, landesweit oder weltweit. Zudem unterscheiden wir zwischen bilateraler und multilateraler Ökumene, je nach dem, ob zwei oder mehrere Kirchen miteinander sprechen und handeln.
Seit dem 20. Jh. wurde „Ökumene" vor allem im weltweiten geographischen Sinn verstanden mit einer weltweiten missionarischen Ausrichtung.
Von evangelischer Seite her verstand man in der ökumenischen Bewegung zu Beginn des 20. Jh. darunter zunächst den Kontakt zwischen den Kirchen unterschiedlicher Kontinente - etwa die evangelischen Missionskirchen und die Mutterkirchen in Deutschland.
Dieser Begriff wurde seit der Weltmissionskonferenz in Edinburgh im Jahr 1910 reflektiert und insgesamt auf die Beziehungen unterschiedlicher Kirchen, kirchlicher Gemeinschaften und Konfessionen angewendet, vor allem seit der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (1948).
Das birgt inzwischen immer die geistliche Haltung, dass man erkennt bzw. erkennen sollte, zu einer weltweiten christlichen Gemeinschaft der Kirchen zu gehören und den Willen, eine sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi anzustreben.
In der katholischen Kirche gehört Ökumene mit und seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) wesensmäßig zum Selbstverständnis.
Vier Dimensionen der Ökumene
Ökumene meint alle Aktivitäten, die sich um das gemeinsame ökumenische Anliegen bemühen. Wir unterscheiden heute mehrere Dimensionen des Ökumenismus, die uns helfen, die ökumenische Arbeit mit ihren Zielen zu strukturieren.
- Geistlicher Ökumenismus
Er steht an erster Stelle, quasi als „Herz der Ökumene", denn das gemeinsame Gebet der Christen, ihr Gottesdienstfeiern, ihr Lesen in der Hl. Schrift und ihre angestrebte geistliche Erneuerung sind die Grundvoraussetzung ökumenischen Handelns. Es geht also um eine spirituelle Grundhaltung aus dem Wissen heraus, dass die Einheit ein Anliegen Jesu ist („Alle sollen eins sein"; Joh 17,21a). - Praktischer Ökumenismus
Auf dieser Basis ruht die zweite Dimension: Der praktische, handlungsorientierte Ökumenismus. Hier geht es um ein gemeinsames Anpacken, um das Aufeinander-zu von Christen und Gemeinden zum gemeinsamen Tun. Christen praktizieren Einheitliches noch vor der angezielten vollkommenen Einheit, etwa durch Selbstverpflichtungen wie in der Charta Oecumenica (Nr. 3+4). In solchem Tun steckt ein gemeinsames Zeugnis und die Freude an der erlebten Gemeinschaft von Christen. - Sozial-caritativer Ökumenismus
Dieser dritte Bereich folgt konsequent, denn der diakonische und soziale Aspekt unseres gemeinsamen Christseins ist ein klares Zeugnis gegenüber der Gesellschaft: Ökumenische Sozialstationen, Kindergärten, Jugendarbeit, Hilfsprojekte - aber auch: Gemeinsame Texte, die zurecht sozial-ethische Anliegen in unsere Gesellschaft tragen, wie das gemeinsame Sozialpapier von EKD und DBK (1997).
Beide Bereiche - praktische und diakonische Ebene - überlappen einander. Man kann beide auch fassen in den Stichworten „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung", die ja die drei großen Europäischen Ökumenischen Versammlungen (Basel - Graz - Sibiu) geprägt haben. - Theologischer Ökumenismus
Er meint jene Ebene, die theologisch-wissenschaftlich gegenseitige Standpunkte abklopft, Gemeinsamkeiten entdeckt oder neu formuliert und schließlich zu offiziellen Übereinstimmungen kommt: Ökumene der Dokumente wie Konsens- / Konvergenz-Papiere. Es ist dies keine Papier-Ökumene, wie manche meinen, sondern eine wichtige Reflexion darüber, auf welchem gemeinsamen Boden wir als Christen stehen.
2. Grundhaltungen im ökumenischen Miteinander
Zur Erinnerung: Ökumene gehört zum Wesen einer evang.-luth. Kirche. Ihr Bekenntnis ist auf Einheit der Kirche angelegt. Sie versteht sich als Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche (Ökumenekonzeption der Landeskirche). Ökumene ist für die röm.- kath. Kirche Wesen und Auftrag der Kirche Jesu und unumkehrbar (Johannes Paul II, Enzyklika: Ut Unum sint). Der Prozess der Ökumene geht voran, geistlich, visionär, freundschaftlich, motiviert, vielfältig, gelassen, vertrauensvoll, baut Brücken zwischen großen und bei uns kleinen Kirchen, Freikirchen, Gemeinden.
Wichtig dabei sind gewonnene Grundhaltungen:
1. Informiert reden und handeln
Nur wer weiß, wer die ökumenischen Partner sind, was sie glauben, wie sie leben, kann sich auf einen gemeinsamen Weg machen. Ökumene braucht Bildung durch Besuche, Fortbildung, Information, Diskussion, Projekte, Grundkenntnis über den Stand im ökumenischen Prozess, durch die Bereitschaft zu lernen, sich auseinander zu setzen, und die Neugierde auf das Gemeinsame.
2. Sich Respektieren und Vertrauen
Kirche Jesu ist Eine, sucht Einheit, zeigt sich aber real in Konfessionen vielfältig. Respekt vor Überzeugung und Tradition der anderen und Wertschätzung des je anderen Glaubensentwurfs schafft Vertrauen. Gleich- Gültigkeit oder Arroganz sind Gift. Der Dialog ist auf Augenhöhe, im Geist des Evangeliums. Reden nach Innen und nach Außen hat sich zu decken. Stetigkeit, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit stärkt das Vertrauen.
3. Aufeinander achten und sich einsetzen für die Anliegen der anderen
Das ökumenische Netz ist eng. Innerkirchliche Entscheidungen und Papiere haben oft Rückwirkungen auf andere Kirchen. Der ökumenische Kontext ist sensibel zu beachten.
Wie würde ich entscheiden, säße der ökumenische Partner mit am Tisch? Andererseits, sich für die Anliegen, auch Nöte, der anderen Konfession, gerade der bei uns kleineren Kirchen einzusetzen, ist Zeichen einer fürsorglichen, angstfreien, empathischen Ökumene.
4. Den Glauben vertiefen und weiter entwickeln
Ökumene lebt davon, seinen eigenen Glauben froh zu pflegen und die eigenen Überzeugungen offen und werbend einzubringen, aber auch sich reich zu machen an geistlichen Formen anderer Traditionen. Die ökumenische Spiritualität, das gemeinsame Hören auf das Evangelium, die Sehnsucht nach der Fülle der Wahrheit, ist Zentrum im ökumenischen Prozess. „Wer glaubt, zittert nicht", im ökumenischen Dialog.
5. Gemeinsame christliche Überzeugungen in ökumenischer Weite im Alltag vertreten
Jede Kirche schöpft aus einem breiten Strom biblischer Tradition und geschichtlicher Entwicklung. Ökumenische Sorgfalt achtet konfessionelle Akzente und will nicht in Widerspruch zur eigenen Kirche bringen. Andererseits gehört es zur ökumenischen Redlichkeit dankbar festzuhalten und in Praxis, Pastoral und Liturgie weiterzugeben, was die Kirchen für einen Schatz an gemeinsamer christlicher Grundüberzeugung haben. Durch die gemeinsame Taufe, als Beispiel, sind wir auf dem Weg der „Weitervereinigung" ( Paul-Werner Scheele ).
6. Miteinander auf gesellschaftliche Probleme reagieren, gemeinsam handeln.
Das ökumenische Miteinander der Kirchen ist ein gesellschaftspolitisch wichtiges Zeichen. Christen lernen: mit einer Stimme reden hat Gewicht in sozial- diakonischen Herausforderungen, ethischen Fragen, beim Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Lebensgrundlagen. Auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag kam dies neu auf den Prüfstein.
7. Visionen haben, sich in Geduld und Ungeduld zugleich üben
Die Spaltung der Kirchen hinnehmen, sich konfessionell genügen, ein Miteinander nicht wollen, ist gegen das Evangelium. Visionen von der spürbaren, sichtbaren Einheit der Konfessionen und Kirchen Jesu in versöhnter Verschiedenheit spornen das ökumenische Miteinander an. Es braucht den langen Atem der Geduld, fröhlich dran zu arbeiten, dafür zu beten, damit zusammen wächst, was zusammen gehört. Aber es braucht zugleich den Trotz und die „heilige Ungeduld", dass das nicht ewig dauert und der nächste Schritt getan wird.
Zum guten Schluss: Diese sieben Grundhaltungen, eine Art „kleiner ökumenischer Knigge", wollen helfen, für das Streben nach Einheit der Kirche Jesu zu begeistern, das ökumenische Miteinander mutig und geduldig zu gestalten, bewährte Standards und erreichte Verbindlichkeiten festzuhalten, Berechenbarkeit, Vertrauen, Belastbarkeit zu lernen, und wenn nötig, Krisen zu meistern.
Autoren:
Kirchenrat Winfried Schlüter, Ökumenebeauftragter im Kirchenkreis Ansbach-Würzburg
PD Pfr. Dr. Petro Müller, Ökumenereferent der Diözese Würzburg